Franziskusfest 1./2. Oktober 2022

Wir leben in einem hoch entwickelten Land. Wir haben ein Dach über dem Kopf, wir haben jeden Tag zu essen. In der Garage haben wir unser Auto stehen. Und die meisten können in Urlaub fahren. Jedes Kind kann eine Schule oder einen Kindergarten besuchen. Auch eine Kirchengemeinde gibt es in erreichbarer Nähe.

Aber das alles kann noch besser werden: Wir erarbeiten Konzepte für die Pädagogik an Schulen und Kindergärten, wir sind bestrebt, die Infrastruktur an Straßen, Eisenbahnen und im Flugverkehr zu optimieren. Wir verbessern unsere Häuser durch Wärmeisolierung, moderne Heizsysteme und zeitgemäße Badezimmer und Küchen.

Und dann stellen wir fest: wir finden keine Handwerker; die Handwerker bekommen kein Material, es bestehen Lieferengpässe bei Autos und sogar E-bikes. Züge fallen aus, weil Zugführer erkrankt sind. Unterricht kann nicht erteilt werden, weil Lehrpersonal fehlt.

Endlich können Straßen mal repariert werden, dafür gibt es kilometerlange Staus.

Und die Folgen von Corona verschärfen das Ganze noch und Entspannung ist in vielen Lebensbereichen weit weg.

Die Ansprüche, die wir an das Leben haben, sind enorm hoch und wenn sie nicht erfüllt werden, schlägt das bei den Beteiligten in Resignation und Frust um. Ich weiß selbst, wie nervenaufreibend ist, wenn es einen reservierten Sitzplatz im Zug nicht gibt oder wenn ganze Züge ausfallen und man den Anschluss nicht bekommt. Meine Stimmung ist dann schnell im Keller.

In dieser Situation trifft dann die Erzählung von den immer größeren Scheunen voll ins Schwarze: immer mehr, immer schneller, immer bequemer, immer egoistischer. Die Ansprüche, die dieser reiche Gutsbesitzer stellt, sind so, dass sie für ihn zu Todeszeichen werden. Letztlich steht er dann ohne alles da und vor den Scherben seines Lebens. Er stirbt an seinem Überfluss und an seinem Reichtum.

Ein ganz anderes Lebenskonzept verdanken wir dem heiligen Franziskus, dem Patron unserer Gemeinde. Genauso wie der reiche Gutsherr kennt er die angenehmen Seiten des Lebens mit Reichtum im Überfluss, Partys und Müßiggang mit seiner Clique. Rechtzeitig aber erahnt er die Sackgasse, in die dieses Leben für ihn führt. Die Begegnungen mit den Aussätzigen außerhalb der Stadtmauern, die Erfahrungen einer kollabierenden Kirche bringen ihn zum Nachdenken und zu einer Neuorientierung. Das äußere Zeichen dafür ist die Tatsache, dass er sich seiner Prunkgewänder entledigt und sie seinem Vater zurückgibt. So steht er nackt da. Aber es ist eine andere Form der Nacktheit als bei dem reichen Gutsbesitzer. Dieser kann nur noch ins Grab gelegt werden. Franziskus aber findet einen neuen Weg, nachdem er sich von seinen überzogenen Ansprüchen befreit hat. Ihm reicht in Zukunft ein einfaches erdfarbenes Gewand. Darin findet es ein neues Zuhause, er braucht keine überdimensionalen Scheunen. Diese Anspruchslosigkeit lebt er in aller Radikalität und selbst seine Brüder, die sich zu ihm gesellen, können diesen radikalen Weg nicht immer teilen. Aber sie brauchen den Impuls von Bruder Franz, um auch für sich authentische Wege zu finden.

Mir stellt sich immer verstärkt die Frage, wie wir heute mit unseren Erwartungen an das Leben umgehen. Welche Haltung brauche ich, damit ich zufrieden werde und nicht ständig von Zugausfällen oder unbesetzten Stellen in Resignation getrieben werde. Das Gleichnis vom reichen Gutsbesitzer mit dem inneren Zwang zu ständigem Wachstum ist eine Warnung und ein Impuls, meine Werte zu überprüfen.

Das Lebensbeispiel des Franziskus dagegen motiviert dazu, neue, auch ungewohnte Wege zu gehen. Ich muss unterscheiden lernen zwischen berechtigten und lebensnotwendigen Ansprüchen und Ansprüchen, die mich nur unter Druck setzen, aber keine Lebensqualität erzeugen und mir letztlich auch die Freude am Leben nehmen. Es ist auch der Zauber der kleinen Dinge. Und für Franziskus ist es sein Vertrauen auf Gott, der ihm das Leben erschließt.

Beenden Sie den Tag heute und morgen mit der Frage:

Was war heute schön?

An welche Kleinigkeit erinnere ich mich gerne?

Wofür bin ich heute einmal dankbar?

Reinhard Bürger