Osternacht A, 8. April 2023

Vor einigen Jahren bin ich am Ostermontag bei meiner Schwester gewesen, die in unserem Heimatort lebt und wir haben bei schönem Wetter einen langen Spaziergang durch den Ort und die benachbarten Felder gemacht. Auf diesem Weg wurden viele Erinnerungen wach. Der Sportplatz, auf dem ich mein erstes Selbsttor geschossen habe. Der kleine Fluss neben unserem Haus die Heder, in dem unser jüngster Bruder fast ertrunken wäre. Die alten Häuser, in denen die lokalen Originale lebten, deren Spitznamen wir noch alle kannten. Die Feldwege, auf denen wir im zarten Alter von 13 oder 14 Jahren Autofahren gelernt haben. Natürlich das Elternhaus, das jetzt von der jungen Generation bewohnt wird. Es war für mich eine Rückkehr zu den Wurzeln, vieles vertraut, neu noch mehr. Aber vieles von dem, was mich als Mensch heute ausmacht, habe ich von dort mitgebracht. Das ist mir bei unserer Wanderung aufgefallen. Meine Wurzeln sind nicht irgendwo, sondern ganz konkret zwischen Metzgerei Meyer und Pagellers Bäckerei. Es tut manchmal wirklich gut, wenn man an seine Wurzeln zurückkehren kann.

Etwas ähnliches schildert uns die Ostergeschichte, de Matthäus erzählt. Die völlig irritierten Frauen am Grabe Jesu werden zweimal aufgefordert, die Jünger dazu zu bewegen, zurück zu ihren Wurzeln zu gehen, nämlich nach Galiläa: ‚Geht und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen, dort werden sie mich sehen.‘ Galiläa mit dem See Genesareth ist der Ort, wo sie ihren Ursprung als Jüngergemeinschaft haben. Hier haben sie ihren Beruf ausgeübt, hier haben sie sich kennengelernt. Hier haben sie Jesus getroffen und er hat sie so fasziniert, dass sie zusammengeblieben sind. Hier haben sie erlebt, wir begeisternd er von Gottes Reich erzählen konnte. Hier haben sie zusehen können, wie er Menschen aufgerichtet hat und sie haben darüber gestaunt, dass ihm immer etwas Neues einfiel, um von Gott zu erzählen. Die Landschaft mit dem See, dem Ackerbau und den Gärten, das hat ihn immer neu dazu gebracht, das Leben zu deuten und er hat überzeugend Gott für dieses Leben haftbar gemacht. Und dahin sollen sie nun zurück.

Ist das nicht völlig rückwärtsgewandt, sich an den Ort seiner Kindheit und Jugend zurückzusehnen? Machen wir alles so wie früher? – Nein, so kann es nicht gemeint sein, wenn die Aufforderung gar doppelt ergeht. Aber sie müssen zurück, damit sie ihre Wurzeln wiederfinden. Aber sie kommen anders zurück. Sie haben die Schule ihres Lebens durchlaufen, die Begegnungen mit den Menschen und ihren Sorgen, die Konflikte in Jerusalem mit den Pharisäern und den Hohepriestern, die Begegnung mit der Weltmacht Rom und ihren Vertretern. Und das schmähliche Ende ihres Meisters an einem Galgen. Das sind Erfahrungen, die sie prägen und reifen lassen. Sie sollen sich ihren Wurzeln stellen – back to the roots – wie wir sagen. Hier werden sie noch einmal mit den Motiven konfrontiert, mit denen sie einstmals angefangen haben. Hier ist der Ursprung der Botschaft noch zu spüren, den sie jetzt wieder brauchen. Denn nicht Galiläa ist das Ziel ihres Lebens, sondern am Ende steht ‚ich bin bei euch bis ans Ende der Welt‘. Sie sollen nicht in die Enge ihre Kinderzimmer zurück, sondern aus dem Wissen um ihren Ursprung bis ans Ende der Welt gehen, sich öffnen für alle Menschen und Kulturen.

Die Frauen spielen hier eine gewichtige Rolle. Die Jünger selbst sind irgendwo in sicherem Abstand, die Frauen tun das, was nötig ist bei einer Bestattung. Aber sie sind es, die den Betrieb wieder voranbringen und den Jüngern Beine machen. Ganz bei sich sein, seine Wurzeln wertschätzen, aber immer auch die Welt in allen ihren Dimensionen in den Blick nehmen, das ist österliche Existenz.

(Doch oft ist das Beharrungsvermögen stärker: Als ich mit meinem Vater einmal später meinen Bruder in New York besuchten, standen wir dann ganz beeindruckt am Ufer des Hudson-River und mein Vater sagte nur: Ach, an der Heder isses aber auch schön. Das hatte wenig Österliches.)

Reinhard Bürger