Predigt 17. Sonntag im Jahreskreis B 2021

Schwestern und Brüder,

ich kann mir nicht vorstellen, daß Jesus einen Kalender besaß, in dem stand: „Mittwoch, 16.30 Uhr, Brotvermehrung.“

Mir scheint es bei der Brotvermehrung so gewesen zu sein, wie bei fast allen wichtigen Situationen im menschlichen Leben: wir suchen sie uns nicht aus, sondern sie kommen uns entgegen und wir stellen uns ihnen – oder auch nicht.

Wie viele Situationen mögen wohl schon an uns vorüber gegangen sein, die in unserem Leben hätten viel verändern können, aber wir waren in unserem Denken und Handeln so eingefahren und festgelegt, so daß wir sie nicht erkennen konnten und wir haben Chancen verstreichen lassen…

Das ist der Unterschied zwischen dem Apostel Philippus und Jesus, in der Situation, die uns das heutige Evangelium schildert.

Philippus kalkuliert die Verpflegungskosten und winkt ab – Chance vertan!

Jesus hingegen sieht, daß hier eine Situation ist, in der sich die alltägliche Wirklichkeit öffnen kann für die Wirklichkeit Gottes – und Jesus ergreift die Chance.

Das Brot, das da ein kleiner Junge bei sich hat, das kann so viel mehr sein, als ein in Euro oder Denar berechenbarer Lebensmittelvorrat. Für diese Erkenntnis braucht es aber Offenheit für die Gegenwart des lebendigen Gottes. Es braucht Menschen, die mit Gott in ihrem Leben und Alltag rechnen, statt nur be-rechnend zu sein. Das unterscheidet Jesus von Philippus.

Wir können sicher sein, daß Jesus die Bibel kannte. Schon seit Kindertagen kannte er sicherlich auch alle Geschichten, die man sich vom Propheten Elischa erzählte, sicherlich auch die, die wir gerade als Lesung gehört haben. All diese Geschichten waren bestimmt vom vielen Erzählen etwas zurechtgefeilt worden – deswegen wirken sie etwas märchenhaft. Aber letztlich wird dadurch nur noch deutlicher, was dieser Gottesmann Elischa durch die Jahrhunderte hindurch für eine große Bedeutung hat. Auch für den Juden Jesus ist Elischa ein Prophet, ein Diener Gottes, an dem Gottes Wirken in Erscheinung tritt.

Die kurze Erzählung, die unsere heutige Lesung bildet, berichtet von einem Unbekannten aus einem Ort namens Baal-Schalischa, einem Ort, den wir heute nicht mehr kennen. Der Unbekannte macht dem Propheten Elischa zwanzig Brote und ein Sack Getreide zum Geschenk. Elischa nimmt das Geschenk an. Er gibt die Brote seinem Diener mit dem Auftrag, sie an die hundert Männer zu verteilen, die wohl den Schülerkreis des Propheten Elischa bilden. Und siehe: die wenigen Brote reichen aus für die vielen und es bleibt noch Brot übrig.

Das ganze steht unter dem Wort Gottes: „Denn so spricht der Herr: Man wird essen und noch übrig lassen.“ – eine Erinnerung daran, daß Gott sein Volk bei der Wüstenwanderung, raus aus der Sklaverei, nicht dem Hunger überlassen hatte.

An irgendeinem Punkt muss Jesus aufgegangen sein, daß diese Elischa-Erzählung der Hintergrund ist, um seine eigene Situation zu verstehen:

Da sind viele Menschen gekommen, um ihn zu hören. Da sind ganz viele Menschen, die eine Sehnsucht nach Gott in sich tragen.

Und das Evangelium betont ausdrücklich, daß das Passahfest nahe gewesen sei. Das Passahfest ist das Fest, das den Auszug aus Ägypten und den Anfang der Wüstenwanderung in die Freiheit feiert.

Da ergreift Jesus die Initiative. Er geht Philippus und den anderen Jüngern voran. Er geht für sie den Weg der Befreiung aus einem Denken, das noch nicht erfahren und verstanden hat, daß Gott für sein Volk da ist. Das Rechnen des Philippus, ob wohl das Geld reiche, steht in krassem Gegensatz zur Großzügigkeit Gottes – diese Großzügigkeit, die das Volk Israel so oft erfahren durfte und doch immer wieder anzweifelt. „Denn so spricht der Herr: Man wird essen und noch übrig lassen.“

Das Brotwunder bei Elischa, die Rettung aus der Gefangenschaft Ägyptens und viele andere Erzählungen der Heiligen Schrift sind bedeutenden Marken der Geschichte Gottes mit den Menschen und sie sind dazu erzählt und aufgeschrieben worden, um uns in ein Vertrauen hineinzuführen, das damit rechnet, das Gott größer ist, als es sich in Euro je beschreiben ließe.

Anders ausgedrückt: die Wirklichkeit, die Gott geschaffen hat und von der jeder von uns ein Teil ist, hat von Gott her das Potential, mehr zu sein, als wir bisher geglaubt und daraus gemacht haben!

Für Elischa war die Erfahrung, 20 Brote geschenkt zu bekommen, die auslösende Erfahrung, die ihn an das unausgeschöpfte Potential Gottes in dieser Welt erinnert hat. Aufgrund dieser Einsicht glaubte er daran, daß 20 Brote für 100 Männer reichen werden. Elischa spürt in diesem Geschenk, daß alles, was ist, Geschenk Gottes und nicht sein Besitz ist. Deswegen gibt er großzügig weiter! „Weil du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen.“, singt eines unserer Lieder.

Das, liebe Schwestern und Brüder,

ist die Einladung an uns, es auch zu riskieren, das Leben als ein Geschenk zu begreifen, das ich nicht ängstlich für mich bewahren muss.

Vielmehr zeigt unser Leben erst da sein volles Potential, wo es aus der vertrauenden Beziehung zu Gott gelebt wird. Dort, wo wir das Geschenk unseres Lebens weitergeben, erfüllt sich das Wort:

„Denn so spricht der Herr: Man wird essen und noch übrig lassen.“

AMEN.